Leben und Werk
von Gertrud von Kunowski, geb. Eberstein (1877 – 1960)
EINE DER GROSSEN WIEDERENTDECKUNGEN
Sie brach mit vielen Konventionen: Sie war modern, emanzipiert, avantgardistisch in ihrem Leben wie in ihrer Kunst. In ihrem Frühwerk brillierte sie mit gekonnt impressionistischer Grafik, der sogar der große Max Liebermann Respekt zollte. Zusammen mit ihrem Mann, dem Kunsttheoretiker Lothar von Kunowski und befreundeten Kollegen der damaligen Avantgarde lebte und prägte sie Geist, Form und Inhalt des Jugendstil mit, gab ihr Wissen, Können, ihre Inspiration an unzählige junge Talente ihrer Malschulen in München – mit Malkursen während der „Sommerfrische“ in Schönau am Königssee nahe Berchtesgaden - Rom, Düsseldorf und Berlin weiter. Sie schuf in dieser Zeit einen unverkennbar eigenständigen Stil, der in beeindruckenden Portraits, Akten und Stillleben die Technik der alten Meister mit den neuen Ideen des auf brechenden 20. Jahrhunderts, der „Klassischen Moderne“ vereinte – ein Stil, der in seiner zeitlosen Qualität weit über die kurzfristigen Strömungen der Jahrhundertwende hinausging und heute noch überzeugt und fasziniert.
VON DER UNERWÜNSCHTEN BEGABUNG…
Geboren 1877, ein Jahr nach Paula Modersohn-Becker, teilt Gertrud Eberstein zunächst das Schicksal vieler begabter Frauen, die um die Jahrhundertwende ein Kunststudium aufnehmen wollten: Noch immer war in Deutschland den Frauen der Zutritt zu den offiziellen Ausbildungsstätten verwehrt – erst 1919 erzwangen sich die Künstlerinnen zum Teil gewaltsam den Einzug in die staatlichen Akademien. Was blieb war der Besuch privater Malschulen. Wie Käthe Kollwitz den „Verein bildender Künstlerinnen zu Berlin“ oder Sonja Delaunay-Terk die „Großherzogliche Malerinnenschule in Karlsruhe“ besucht hatten, so wurde auch Gertrud Eberstein, nach kurzem Aufenthalt an der Breslauer Kunstschule, ab 1895 von Dozenten der „Münchener Damenmalschule“, darunter ihr späterer Mann Lothar von Kunowski, unterrichtet. In spontanen, leichten Zeichnungen brachte sie typische Milieuschilderungen mit sicherem Strich zu Papier: Kaffeehaus- und Biergartenszenen mit treffenden Charakterstudien, lebendige, impressionistische Momentaufnahmen während der Arbeit in der Malschule, und immer wieder hervorragende Portraits von Modellen jeden Alters.
…ZU EINER MEISTERIN DER MODERNE!
Nach der Heirat mit Lothar von Kunowski arbeiteten beide mit größter Intensität an den Grundlagen jeder Malerei, dem Naturstudium – und Gertrud verstand es, die modernen Mittel zeitgenössisch-europäischer Bildsprachen in subtiler Weise mit ihrem gegenständlichen Kunstwollen in Einklang zu bringen. Weder Gertrud noch Lothar verfielen damals, in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, jener platten Ablehnung aktueller Kunst oder dem üblen Antisemitismus, zu dem viele der Kollegen neigten – ein Faktum, das vor allem Max Liebermann in einem Brief während des Ersten Weltkrieges dankbar erwähnte. Und gerade der früher als schmerzlich empfundene Ausschluss vom längst festgefahrenen Akademiebetrieb erwies sich nun als unschätzbarer Vorteil, da Gertrud offen und unverbildet ihren künstlerischen Weg finden konnte, mit bildnerisch-kompositorischen Lösungen, deren Qualität und Originalität neu zu entdecken gilt. Die Essenz beider unermüdlicher Arbeit fand 1910 in der Veröffentlichung und Herausgabe ihres Hauptwerkes „Unsere Kunstschule“ in Form eines großformatigen, mit zeitgemäßen Lichtdrucken von Gertruds Gemälden reich bebilderten Prachtbandes ihren sichtbaren Ausdruck.
MUTIG UND PHANTASIEVOLL
In der Zeit nach der Jahrhundertwende widmete sich Gertrud vor allem der zum Teil in große Formate gesetzten Aktmalerei – eine für diese Zeit wahrhaft kühne Tat, galt doch das Aktmalen noch immer als äußerst unschicklich für Frauen. Als wahre Meisterin in der Darstellung des Menschen – dem wohl schwierigsten Bildgegenstand überhaupt – gelangen ihr Werke, die trotz vitaler Authentizität und anatomischer Präzision den menschlichen Körper, frei von irdischer Schwere, mit einer stofflichen Transparenz zeigen, wie er mit wenigen, sparsam gesetzten Linien und Flächen in eine fast schwebende Komposition gesetzt ist.
In den Jahren vor und während des Ersten Weltkrieges entstanden zahlreiche Selbstportraits in meist selbst entworfenen Kleidern. Die weichen, schmiegsamen Gewänder, der phantasievolle Kopfschmuck vieler Bilder zeigen, dass Gertrud eine der ersten deutschen Künstlerinnen war, die durch zahlreiche Erfindungen des Schnitts, der Befestigung, der Berücksichtigung des Stoffmaterials und des natürlichen Faltenwurfs hervortrat – Innovationen, die anfangs verlacht, später nachgeahmt und dann Mode wurden, da sie selbst ihre Eigenschöpfungen mit äußerster Kühnheit in der Öffentlichkeit präsentierte.
PERFEKTE VIELSEITIGKEIT
Kein Material, keine grafische oder malerische Technik blieb von ihren neuen Ideen unberührt. Gertrud von Kunowskis Miniaturen auf Elfenbein, ihre Temperamalereinen auf Seide, ihr perfekter Einsatz jeden Zeichen -und Malmittels auf Papier, Holz und Leinwand – von kleinsten Formaten bis zu Wandbildern von 2 x 5 Metern – dokumentieren in beeindruckender Weise die Vielseitigkeit der Künstlerin. Es liegt eine große Anzahl von Kritiken aus verschiedenen Jahrzehnten vor, die sich sehr positiv zu ihrem Werk äußern, und dass neben einer Ausstellungsbeteiligung beim Künstlerverband „Secession“ bereits 1901 in der Folge bekannte Galerien wie Flechtheim, Düsseldorf und Gurlitt, Berlin zu ihren Lebzeiten - zwei Jahre nach ihrem Tode die Städtische Galerie im Lenbachhaus in München - Einzelausstellungen veranstalteten, spricht für die hohe Qualität und Anerkennung ihrer Arbeit.
EINE GROSSE KÜNSTLERIN WIRD WIEDER ENTDECKT
Ab 1936, nach dem Tode ihres Mannes, wohnte Gertrud von Kunowski ständig in ihrer zweiten Heimat Schönau am Königssee, wo sie bis ins hohe Alter von 83 Jahren für ihre Malerei lebte. Als eine äußerst begabte, geistvolle und mutige Künstlerin verdient sie gerade heute in einer Zeit orientierungslosen Pluralismus wieder besondere Beachtung. (Siehe hierzu auch die Seite zum Nachlass.)
Quelle: Werkverzeichnis Klara Schiller: „Gertrud von Kunowski – Leben und Werk“, Ulm 1988. (Klara Schiller war Vorgängerin des heutigen Nachlassverwalters Dr. Reinhard Rudershausen, Schondorf am Ammersee, Kunowski-Nachlass-Verwaltung)